Textatelier
BLOG vom: 05.06.2007

Schloss Liebegg: Beim Brunch ans Leben von früher gedacht

 

Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Wahrscheinlich hatten wir es am kühlen, hoch- bis tiefnebligen Sonntagmorgen, 3. Juni 2007, beim Brunch im Schloss Liebegg (Gemeinde Gränichen AG/CH) besser als die Schlossherren von damals. Ich schliesse das aus Charles Tschopps 1961 erschienener Landeskunde „Der Aargau“. Darin hielt der philosophisch veranlagte Schriftsteller und Historiker zum vornehmen Leben von damals grundsätzlich fest: „Das Leben auf der Burg war armselig und darf nicht von den schlossähnlich ausgebauten Burgen her beurteilt werden, deren Bequemlichkeiten aus dem 17. und 18. und sogar zu nicht geringen Teilen aus dem 19. Jahrhundert stammen (...). Die Fenster waren klein, oft nur längliche Schlitze, die in den kalten Jahreszeiten mit Pergament, Holzläden oder Fellen gegen die Unbill der Witterung verhängt wurden.“ Dem ist beizufügen, dass durch die dominante Lage der Burgen natürlich auch der soziale Stand augenfällig markiert worden ist.
 
Ulrich von Hutten schrieb zum gleichen Thema: „Steht eine Burg auf einem Berg oder in der Ebene, auf jeden Fall ist sie nicht für die Behaglichkeit, sondern zur Wehr gebaut, mit Gräben und Wall umgeben, innen von bedrückender Enge, zusammengepfercht mit Vieh- und Pferdeställen. Dunkle Kammern sind vollgepfropft mit schweren Schiessbüchsen, Pech, Schwefel und allen übrigen Waffen und Kriegsgeräten. Überall stinkt das Schiesspulver, und der Duft der Hunde und ihres Unrates ist auch nicht lieblicher als ich meine.“
 
Schlösser und Burgen sind heute meistens in einem besseren Zustand, falls geschickte Restauratoren eingegriffen und den Zerfall verhindert haben. Die abgehobene Lage macht sie zu attraktiven Aussichtspunkten und Ausflugsorten. Das trifft auch auf die Schlossanlage Liebegg (www.schloss-liebegg.ch ) zu, die auf einer bewaldeten Hügelzunge angesiedelt ist, welche ihrerseits auf halber Höhe aus dem Liebeggerwald hinausquillt. Beim Durchqueren des Wynentals zwischen Gränichen (Bezirk Aarau) und Teufenthal (Bezirk Kulm) sieht man östlich über dem Tal im Hang nur die Nachfolgebauten der „Alten Burg“, das nachgotische Wohnhaus (Luternauhaus) von 1561/62 mit dem steilen Walmdach und dem Schneggen (der Turm mit einer gewundenen Treppe). Dieser Teil der Anlage wurde 1907 stark erneuert und 1982/83 wieder restauriert und ausgebaut. Aber der Rest der ehemaligen habsburgischen Lehensburg, die als Doppelburg konzipiert wurde, sieht man von dort unten nicht.
 
Diese versteckte untere Anlage hat mich durch ihre  Dimensionen schon überrascht, als ich mich oben umgesehen habe: Wo einst die tiefer liegende „neue Burg“ gestanden hat, befindet sich ein ausladender Schlosshof aus dem frühen 17. Jahrhundert. Seine Einrahmung besteht aus einem Gebäudegeviert mit einer türmchenbewehrten Toranlage (1617/18) und einem winkelförmigen, nördlichen Laubentrakt aus dem Jahr 1817, ferner aus Turm, Scheune und Gärtnerhaus aus den Jahren 1617/18 im Süden und Osten sowie einem klassizistischen Herrschaftshaus, das 1998/2002 im Auftrag des Kantons Aargau mit einem Aufwand von 8,7 Mio. CHF sparsam (redimensioniert) restauriert worden ist. Zwecks Kosteneinsparung wurden Dächer weder ausgebaut noch isoliert; Kachelöfen; Cheminées und zugehörige Kamine wurden feuerungstechnisch nicht instand gestellt. Dennoch erweckt die Anlage einen angenehmen Eindruck, vielleicht gerade wegen der zurückhaltenden Erneuerung. Sie blieb näher bei ihren Ursprüngen.
 
Der Aargau hatte das renovationsbedürftige Schloss 1946 gekauft, und es dauerte lange, bis der Rest neben der „Alten Burg“ ebenfalls etwas aufpoliert wurde. 1958 wurde unterhalb des Schlosses die Landwirtschaftliche Schule Liebegg mit Internat gebaut.
 
Seit dem Abschluss der Renovationsarbeiten (2002) steht das Schloss der Öffentlichkeit als Seminar- und Kurszentrum zur Verfügung – und offenbar auch für sonntägliche Brunchs, zu dem diesmal die Neue Aargauer Bank (NAB), CH-5001 Aarau, unter anderen mich als hilfsbedürftigen Kleinstsparer eingeladen hatte, der von den Zinserträgen auf dem Sparbüchlein mit dem besten Willen nicht überleben kann und immer dankbar für etwas Warmes ist, besonders an kühlen Tagen ... Junge NAB-Angestellte waren mit Leib und Seele beim Servieren von Kaffee und Tee, und an einem langen Buffet standen Fruchtsäfte, Müesli-Zutaten, Fruchtsalat, Aufschnitt, einheimischer Käse, heisser Fleischkäse, Rührei, Brot, Zopf, Kuchen usf. abholbereit. Wie gesagt: Wahrscheinlich war alles viel besser als früher. Und keine Spur mehr von Geruch nach Pech und Schwefel.
 
Die Kunden-Fütterung geschah in der grossen Schloss-Schüür (Schlossscheune), wo noch klapprige Klappen für das Durchreichen von Futter fürs ehrenwerte Vieh erhalten geblieben und zu sehen sind; wir durften aber oberhalb von diesen auf einer Empore und nicht etwa dahinter Platz nehmen. Und eine Chutze-Musig gab Volkstümliches in einfühlsamer Art drauf. Doch lebt der Mensch nicht von Brot, Gemüsefleischkäse und Vitaminfruchtsäften sowie Ländlern (Swissfolk) allein, es muss auch noch etwas Geschichte sein. Und so habe ich denn aus meiner Bibliothek, Abteilung Feudalbauten, die Liebegg-Geschichte zusammengekratzt, weil ich in Ermangelung des dafür nötigen historischen Alters von mehreren hundert Jahren leider nicht aus erster Hand berichten kann.
 
Konfuse Liebegg-Geschichte in Kurzfassung
Das Schloss Liebegg wurde offenbar 1241 erstmals urkundlich erwähnt und gilt als Stammfeste der Herren von Liebegg. Diese waren mit den Herren von Trostburg (von der Liebegg aus in 15 Minuten zu Fuss erreichbar, laut Wanderwegweiser) stammesverwandt und führten auch das gleiche Wappen: einen weiss und blau geschachteten Pfahl auf rotem Grund. Die Bewohner der Liebegg, denen auch die Burg Schöftland AG im Suhrental gehörte, standen zuerst im kyburgischen, dann im habsburgischen Dienst. Burg und Dorf Liebegg waren ein Lehen des Hauses Habsburg-Laufenburg. Ein Lehen ist laut Duden ein Grundbesitz, der von einem Herrscher an einen Untergebenen mit der Verpflichtung verliehen wird, dass der Betreffende dem Lehnsherrn mit persönlichen Leistungen zur Verfügung steht.
 
Und so sind denn die Verhältnisse manchmal sehr verschlungen, den vernetzten Eigentumsverhältnissen in der modernen globalisierten Wirtschaft ähnlich, wo man eigentlich nie so recht weiss, wer was wo zu sagen hat und wem was genau genommen gehört – selbst im Schweizer Bankenwesen soll das der Fall sein. Und so stand denn auch den Herren von Liebegg nicht die ganze Burg und Herrschaft zu; denn laut Band 8 der Silva-Bücherreihe „Burgen der Schweiz“ (Autorin: Maria Letizia Heyer-Boscardin) hatte Graf Johann von Habsburg die Hälfte des Lehens an Rudolf von Aarburg verliehen. Dieser wiederum gab seinen Anteil als Afterlehen den Herren von Liebegg, so dass sich der Kreis schloss und Henmann von Liebegg 1385 die gesamte Burg und Herrschaft bei sich vereinigen konnte. Falls es Leser geben sollte, die daraus nicht ganz schlau werden, macht das nichts; ich selber habe Mühe, diese Ränkespiele zu durchschauen.
 
Selbstverständlich war die Geschichte der Liebegg damit noch unvollendet. Jedenfalls huldigte der erwähnte Henmann mit Bedacht den Bernern, die im April 1415 den Aargau eroberten, die Liebegg aber verschonten. Die Berner verliehen die unbeschädigte Burg den Söhnen von Petermann von Luternau, kyburgischen Dienstleuten aus Luthern im Amt Willisau. Dann wurde mit der Liegenschaft Liebegg ein reger Handel getrieben, von dem ich meine Leser verschonen will; die Handänderungen erfolgten serienweise. Jedenfalls fiel die Anlage 1772 als Erbe an Bernhard von Diesbach. 1817 wurde das heutige Hauptgebäude anstelle des durch einen Gebäudeeinsturz zerstörten Wohnhauses von 1617/18 erstellt. Diesbachs Nachfahren verkauften das Schloss 1875 an die Aarauer Industriellenfamilie Hunziker, genau genommen an Guido Hunziker-Züst. Die Hunziker stellten Baumwolltücher her.
 
1907 wurde das Luternauhaus renoviert. Und 1946 stieg der Kanton Aargau als Käufer ein, wie gesagt; auch die Hofbauten und der Landanteil von 15,5 Hektaren gingen in seinen Besitz über. Und so gehöre ich als Aargauer, wie mir erst heute bewusst geworden ist, zu den stolzen Liebegg-Besitzern. Ich hoffe, dass dies in kommenden Geschichtsschreibungen gebührend vermerkt wird.
 
Kontakte
NAB (Neue Aargauer Bank), Bahnhofstrasse 49, CH-5001 Aarau
Internet: www.nab.ch
Magnus Würth, Präsident Verein Schloss Liebegg, Vorgasse 8, 5722 Gränichen. E-Mail: magnus.wuerth@gmx.ch

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